Psychopharmaka 

Pemolin

   
Mit Datum vom 3.2.2000 verschickte die Firma Lilly an Ärzte eine Arzneimittelinformation zu Tradon ® (Pemolin), die sich auf die aktuelle Diskussion zu dem Risiko von Leberschädigungen durch Pemolin-haltige Arzneimittel bezieht. Hierzu schreibt die Firma:

"Nach sorgfältiger Abwägung glauben wir, dass die Anwendung von Pemolin als Reservetherapeutikum beim hyperkinetischen Syndrom im Kindesalter unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen weiterhin vertretbar ist. Wir haben daher eine aktualisierte Gebrauchs- und Fachinformation für Tradon erstellt, der vom BfarM zugestimmt wurde. Danach halten wir folgende Hinweise für Sie als behandelnden Arzt sowie die Eltern und Patienten für besonders bedeutsam:

Im Zusammenhang mit der Anwendung von Pemolin ist es zu Fällen von lebensbedrohlichem Leberversagen gekommen. Tradon darf nur verwendet werden, wenn eine Behandlung des Kindes/des Jugendlichen zuvor sowohl mit Methylphenidat als auch mit Amphetamin erfolglos war und andere Behandlungsmassnahmen allein nicht ausreichend sind. Die Verordnung von Pemolin darf nur durch Kinder- und Jugendpsychiater anhand der derzeit gültigen Diagnosekriterien erfolgen.

Der Behandlungserfolg einer Pemolintherapie muss 3 Wochen nach abgeschlossener Dosistitration beurteilt werden. Bei einem Nichtansprechen (Non-Response) ist der Behandlungsversuch zu beenden.

Eine Behandlung mit Pemolin darf nur bei lebergesunden Patienten mit normalen Leberfunktionswerten begonnen werden. Die Auswertung der aufgetretenen Fälle von lebensbedrohlichem Leberversagen weist auf das Vorliegen von Autoimmunerkrankungen, gleichzeitige Behandlung mit anderen Stimulanzien oder tri- und tetracyclischen Antidepressiva sowie Muskelerkrankungen als mögliche Risikofaktoren hin. Eine Pemolinbehandlung darf daher unter diesen Bedingungen nicht durchgeführt werden.

Obwohl das Vorliegen von normalen Leberfunktionswerten und wiederholte Laborkontrollen keinen hinreichenden Schutz vor lebensbedrohendem Leberversagen gewährleisten können, wird im allgemeinen davon ausgegangen, dass eine frühe Erkennung von (medikamenteninduzierten) Leberschädigungen und frühzeitiges Absetzen von Pemolin die Wahrscheinlichkeit einer Erholung der Leberfunktion erhöhen. Intensivmedizinische Behandlung verbessert zusätzlich die Chancen auf Genesung.

Das folgende Kontrollprogramm ist zur Überwachung der Leberfunktion notwendig: Bestimmung von SGPT, SGOT und Gamma-GT vor sowie in zweiwöchigem Abstand nach Therapiebeginn. Die Behandlung mit Pemolin muss abgebrochen werden, wenn klinisch bedeutsame erhöhte Aktivitätswerte der oben genannten Leberenzyme auftreten, spätestens bei Erhöhung der Werte auf das Doppelte des oberen Normalwertes oder darüber, oder wenn andere Symptome einer Leberfunktionsstörung beobachtet werden. Eltern und andere Betreuungspersonen der behandelten Kinder müssen auf die Frühwarnsymptome einer Leberschädigung hingewiesen werden (z.B. Appetitlosigkeit, Unruhe, Abgeschlagenheit, Leistungsabfall, gastrointestinale Symptome, Bilirubinurie, Ikterus). Ärzte, die über eine Therapie mit Pemolin entscheiden, müssen persönlich eine umfassende und verständliche Aufklärung der Eltern - und altersangemessen - der Patienten vornehmen."

Mittlerweile wurde Pemolin in England und Kanada wegen lebensbedrohlicher Leberschädigungen vom Markt genommen. Jetzt nimmt auch die Firma Abbott das Mittel in den USA vom Markt(angeblich, weil das Verkaufsergebnis unter 1 Mio Dollar lag). Pemolin sei als Reservemittel eingestuft worden, ohne das irgendeine Studie belegt, dass es tatsächlich wirkt, wenn Mittel der ersten Linie versagt haben.

In Deutschland werden von dem Im Arzneikursbuch 2004/2005 als "überholtes Therapieprinzip" eingestuften Stimulans derzeit jährlich 45.000 Packungen über öffentliche Apotheken verkauft. Die Marktrücknahme ist hierzuland überfällig (Arzneitelegramm 4/2005)

 

Am 30.9.05 veröffentlichte das Arzneitelegramm eine eine erneute Warnung zum ADHS Mittel Strattera:

ADHS-MITTEL ATOMOXETIN (STRATTERA) STEIGERT SUIZIDALITÄT

Das seit März 2005 zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) angebotene Atomoxetin (STRATTERA) steigert die Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen. Seit gestern muss Hersteller Lilly in der Europäischen Union, den USA und Kanada vor der Gefahr warnen (1-4). Nach einer Metaanalyse von 12 Kurzzeitstudien mit mehr als 2.200 Patienten entwickeln unter Atomoxetin 6 von 1.357 (0,44%) Teilnehmern Suizidtendenzen, dagegen keiner von den 851 unter Plazebo. Fünf Kinder unter Verum haben Suizidgedanken, eines unternimmt einen Suizidversuch (1,2). Seit Markteinführung wurde in Europa nach Herstellerangaben 14 mal über Suizidgedanken, Suizidversuch und vollendeten Suizid in Verbindung mit Atomoxetin berichtet (1). Da nur maximal jedes zehnte Ereignis spontan gemeldet wird, entspricht dies bei etwa 28.000 behandelten Patienten (1) einer Häufigkeit von 1:200 und somit der Inzidenz in den kontrollierten Studien.

Patienten, die Atomoxetin einnehmen, sollen vom verschreibenden Arzt, aber auch von den Eltern und anderen Betreuern sorgfältig auf Entwicklung suizidaler Gedanken oder Verhaltensweisen und auf andere ungewöhnliche Veränderungen des Verhaltens wie Agitation oder Reizbarkeit hin beobachtet werden (1-3). Dies gilt, wie US-amerikanische und kanadische Arzneimittelbehörden betonen, besonders in den ersten Behandlungsmonaten sowie bei Dosissteigerungen oder -reduktionen (2,3).

Dass Atomoxetin die Suizidalität von Kindern steigert, kann nicht überraschen: Der Wirkstoff ist ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der in seiner chemischen Struktur mit dem Antidepressivum Fluoxetin (FLUCTIN u.a.) verwandt ist. Atomoxetin wurde ursprünglich selbst als Antidepressivum geprüft (a-t 2005; 36: 33-5). Die neueren Antidepressiva vom Typ selektive Serotonin- beziehungsweise Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer sind seit längerem für die Förderung aggressiver, feindseliger und suizidaler Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen bekannt (a-t 2003; 34: 114; 2004; 35: 45-6 und 2005; 36: 1-2). Auch in Verbindung mit Atomoxetin ist auffälliges feindseliges Verhalten bereits vor Markteinführung in Deutschland beschrieben worden (5). Dennoch findet sich in der deutschen Fachinformation bislang kein entsprechender Hinweis (6). Er soll erst jetzt, zusammen mit der Warnung vor Suizidalität, ergänzt werden (1).

Wegen der erheblichen Sicherheitsbedenken, die auch schwere Leberfunktionsstörungen einschließen und die schon bei Markteinführung erkennbar waren (a-t 2005; 36: 33-5), raten wir weiterhin von der Anwendung des Mittels ab.

1 Lilly Deutschland GmbH: Rote-Hand-Brief vom 29. Sept. 2005

2 US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA: Public Health Advisory: Suicidal Thinking in Children and Adolescents Being Treated With Strattera (Atomoxetine), 29. Sept. 2005

3 Eli Lilly Canada Inc.: Health Canada Advises Canadiens of New Warning for Strattera (Atomoxetine Hydrochloride), 29. Sept. 2005

4 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: STRATTERA: Warnhinweis auf suizidales Verhalten bei Kindern mit ADHS angeordnet, 29. Sept. 2005

5 HENDERSON, T.A. et al.: Pediatrics 2004; 114: 895-6

6 Lilly: Fachinformation STRATTERA, Stand Jan. 2005

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